Zwischen Mauer und Trabi – Gedanken von Nachwendekindern zur DDR

Das Gebliebene – ein Interpretationsversuch

Es ist also auch für die Nachwendekinder, die die Teilung Deutschlands nie selbst miterlebt haben, etwas geblieben. Vermutlich resultieren die Nennungen zur DDR zum einen aus der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des geteilten deutschen Staates in öffentlichen Bereichen wie der Schule, den Medien oder der Politik und zum anderen aus familiärer Kommunikation, wobei in der BRD oder DDR gemachte Erfahrungen und Erinnerungen, bewusst oder unbewusst, von Eltern und Großeltern weitergegeben und durch die Kinder entsprechend tradiert werden. In unserer Befragung sind politische und alltägliche Worte, emotionale Beschreibungen oder klischeehafte Zuschreibungen entstanden. Warum gerade diese gewählt wurden, ließe sich wohl nur in Interviews und Gesprächen klären. Doch auch die Begriffsübersichten lassen die ein oder andere interessante Schlussfolgerung zu. 

Unter den meistgenannten Begriffen finden sich vor allem politische Beschreibungen, unter denen besonders die Teilung (Mauer, Grenze) und das System (Sozialismus, Planwirtschaft, Diktatur) mit einigen Bestandteilen (Stasi, SED, FDJ) eine entscheidende Rolle spielen. Die Sicherheit sortiert sich hier schon am Übergang zu alltäglichen und gesellschaftlichen Worten (Trabi, Bananen, Familie, FKK und grau) ein, die teils klischeehafte Zuschreibungen aufweisen.

Kritisch zu hinterfragen, ist in diesem Zusammenhang beispielsweise der häufig gewählte Begriff Banane, welcher ein aus verschiedenen Gründen mit der DDR verbundenes Klischee wiedergibt. Trotzdem scheint das Thema Obst als ein Symbol für Wohlstand in der BRD und dessen scheinbarer Mangel in der DDR (Obstschlange, Obstmangel) ein Bild des Konsumalltags zu sein, das unter Nachwendekindern vorhanden ist. Die Nennung der Familie ist ebenfalls ein Beispiel, das aus verschiedenen Perspektiven interpretiert werden kann. Zum einen weist sie auf ein Bewusstsein hin, dass vorherige Familiengenerationen diese Zeit durchaus miterlebt haben (Eltern, Heimat) und greift damit die These einer generationsübergreifenden Erinnerung auf. Zum anderen kann sie eine Betonung des Familienlebens und Zusammenhalts in der DDR sein (Familienzusammenhalt). Bis auf diese wenigen Beispiele sind die meisten Begriffe nicht sehr emotional oder persönlich, sondern beinhalten vor allem Begriffe, die in Medien, Öffentlichkeit und Schule/Studium heute mit der DDR verbunden werden. Betrachten wir aber die genannten Adjektive (entfernt, anders, grau, gammlig, arm, abgeschottet) fällt auf, dass die meisten von ihnen negativ konnotiert sind.

In unserer Unterscheidung zwischen West und Ost zeigen sich nur feine Unterschiede. Für die Nachwendekinder, die in einem alten Bundesland aufgewachsen sind, ist zum Beispiel der Name Honecker hervorzuheben, der zu den meist genannten Begriffen zählt und dessen mediale Präsenz als DDR-Politiker noch heute auffällig ist. Für die neuen Bundesländer ist zu unserem Erstaunen wieder die Banane präsent. Ich persönlich erinnere mich in diesem Zusammenhang an die Geschichten meiner in der DDR aufgewachsenen Mutter, für welche Bananen ein besonderes, da recht teures Obst waren. Auffällig ist, dass Erstere einen Namen aus der Politik wählten, während die Letzteren einen Alltagsbegriff hervorhoben.

Wortwolke aus den von in einem alten Bundesland aufgewachsenen Nachwendekindern genannten Begriffen zur DDR
Wortwolke aus den von Nachwendekindern genannten Begriffen zur DDR, altes Bundesland [Bild: Julia Baumann, 17. März 2019, Eigene Grafik]
Wortwolke aus den von in einem neuen Bundesland aufgewachsenen Nachwendekindern genannten Begriffen zur DDR
Wortwolke aus den von Nachwendekindern genannten Begriffen zur DDR, neues Bundesland [Bild: Julia Baumann, 17. März 2019, Eigene Grafik]
Das Gebliebene in der Diskussion

Solche kleinen, aber feinen Unterschiede stellten auch wir in der gemeinsamen Projektarbeit zwischen unseren eigenen Erfahrungen mit der DDR immer wieder fest, wobei wir jeweils von unseren im West- und Ostteil der Hauptstadt ansässigen Familien geprägt wurden. Diesen persönlichen und teils sehr emotionalen Zugang haben wir im Folgenden versucht abzubilden, indem wir unsere Gedanken zu den drei häufigsten Begriffen der Umfrage aus unseren zwei Perspektiven in Wort und Bild gegenüberstellen. 

Mauer

Häufig hatte ich den Eindruck, dass die Mauer in den Köpfen meiner Eltern und Großeltern in Berlin noch stehen würde. Obwohl sie ihr Leben lang hier verbracht haben, nimmt Ost-Berlin wenig Platz in ihrem Stadtbild ein. Und wenn ich mal erwähne, dass ich dort hinfahre, heißt es oft nach einem Blick auf die Karte: „Dorthin willst du? Das ist doch so weit weg!“

Wie eine Mauer tatsächlich den Zugang zu oder Ausgang von etwas versperrt, kann ich mir kaum vorstellen. Für mich waren Grenzen stets zum Überschreiten da und damit kann ich mich wohl sehr glücklich schätzen. Wie eine Mauer im Kopf allerdings die eigenen Entscheidungen blockieren kann, ist mir sehr viel vertrauter.

Stasi

Einerseits fühle ich mich bei dem Begriff der Staatssicherheit stark an den Geschichtsunterricht zurückerinnert. Andererseits denke ich dabei auch an das Klischee von Männern mit schwarzen Anzügen und Sonnenbrillen. Das könnte natürlich auch mit den ganzen Spionagefilmen zu tun haben, die meistens zur Zeit des Kalten Krieges spielen. In Wirklichkeit waren es schließlich ganz normale Menschen, die als Spitzel gearbeitet haben.

Zur Stasi musste ich so viel in der Schule auswendig lernen und trotzdem weiß ich heute nicht, ob mir mit dem Begriff „Spitzel“ etwas über die Staatssicherheit oder doch nur ein Klischee in den Sinn kommt. Ich kann wohl nicht alle meine Gedanken überwachen und habe damit gleich das nächste Stichwort: Überwachung. Zumindest mit dem schwammigen Gefühl, überwacht zu werden, kann ich etwas anfangen.

Trabi

Der Kultstatus um diesen kleinen Wagen ist schon einzigartig. Oftmals ist die Entdeckung eines fahrenden Trabis mit dem euphorischen Aufschrei „Guck mal, da ist ein Trabi!“ verbunden und lässt manche modernen Karosserien daneben blass aussehen. Allerdings muss ich hierbei auch an die vielen touristischen Angebote in Berlin (z.B. Trabi-Safari) denken, die mittels DDR-Nostalgie kommerzielle Ziele verfolgen.

Noch heute erzählen meine Großeltern, wie viel sie im Kofferraum ihres Trabis unterbringen konnten und ein kleines papyrusweißes Spielzeugauto dieses Modells steht dabei auf ihrer Wohnzimmerkommode. Mir persönlich steigt mit den Erzählungen sogar ein spezieller Geruch in die Nase. Doch was rieche ich da? – Wohl nur einen der unzähligen Berlin-Touristen auf DDR-Safari…

Zum Thema weiterlesen:
Haag, Hanna: Im Dialog über die Vergangenheit. Tradierung DDR-spezifischer Orientierungen in ostdeutschen Familien, Wiesbaden 2018.

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