Und wenn nichts bleibt?

Drei Potsdamer*innen erinnern sich an die Fachhochschule

Ein Beitrag von Jakob Eichhorn

Über das Projekt

Wenn man mit der Straßenbahn vom Hauptbahnhof in die Stadtmitte Potsdams fährt, macht die Bahn zunächst einen Bogen um das neue, alte Stadtschloss, in dem sich seit seiner Rekonstruktion der Brandenburger Landtag befindet, um dann am Alten Markt zu halten. Von hier blickte man bis zum Sommer 2018 auf ein Ensemble, das es so heute nicht mehr gibt: Neben der barocken Fassade des Schlosses und der grünen Kuppel der Nikolaikirche stach die gelbe, kontrastierende 70er Jahre-Fassade des Fachhochschulgebäudes hervor.

Alter Markt mit Fortunaportal, Fachhhochschule, Obelisk und Nikolaikirche (v.l.n.r.), Florian S., CC-BY-SA 3.0 DE

Der Bau, welcher zu DDR-Zeiten das „Institut für Lehrerbildung“ (IfL) und nach der Wende die Fachhochschule (FH) beherbergte, prägte in den 41 Jahren seines Bestehens die Gestalt des Potsdamer Zentrums.
Spätestens mit der Rekonstruktion des Stadtschlosses entwickelte sich das Gebäude für einige Potsdamer*innen zu einem Makel. Doch während die Einen in ihm einen architektonischen „Schandfleck“ sahen, traten Andere für seinen Erhalt ein. Neben dem Verlust eines öffentlichen Gebäudes in der Stadtmitte stand der Abriss für viele auch stellvertretend für eine seit den 90er Jahren praktizierte Potsdamer Baupolitik, der schon ein großer Teil der ostmodernen Architektur in der Stadtmitte zum Opfer gefallen war. Besonders ob des Faktes, dass an deren Stelle die Architektur des preußischen Potsdams rekonstruiert wurde, schlussfolgerte manch eine*r, man wolle das architektonische Erbe der DDR aus Potsdams Mitte tilgen.

Doch letztlich hatte aller Protest keinen Erfolg. Ab 2017 rollten die Bagger und ein Jahr später stand das Gebäude nicht mehr. Heute klafft dort eine Lücke, die bald mit neuen Häusern in historisierender Gestalt gefüllt werden soll. 

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Abbildung 1: Institut für Lehrerbildung/Fachhochschule Potsdam, Willo Göpel, CC-BY-SA 3.0 DE
Abbildung 2: Planungsstand der Bebauung, Januar 2017, Copyright: PWG 1956 eG

Zeit zu fragen, welche Rolle das Gebäude für Potsdamer*innen vor, während und nach dem Abriss spielte. 

Dazu habe ich Katrin, Ernst und Emil interviewt. Während Katrin zu DDR-Zeiten am IfL studierte, spielte das Gebäude für Ernst, der in Westdeutschland aufwuchs und 1992 nach Potsdam kam, in seinem Alltag nur eine nebensächliche Rolle. Emil ist nach 1989 geboren und erlebte als Student der FH die letzten Jahre des Gebäudes.

Drei Potsdamer*innen erinnern sich
Katrin, Geboren 1970 in Magdeburg, Potsdamerin seit 1973
Ernst, Geboren 1959 in Überlingen, Potsdamer seit 1992
Emil, Geboren 1995 in Berlin, Potsdamer seit 2000

Wir sprachen über das Gebäude, ihre persönlichen Bezugspunkte und über den Abriss: Wie nehmen sie die Potsdamer Stadtpolitik wahr, welche Rolle spielte für sie, dass das Gebäude aus der DDR stammte und wie soll mit solchen Gebäuden verfahren werden?
Die Drei nehmen unterschiedliche Perspektiven auf das Gebäude ein. Ihre teilweise kontrastierenden, teilweise erstaunlich ähnlichen Ansichten wurden nach Themen zusammengeschnitten.

Potsdamer Stadtentwicklung in der DDR

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs war der Stadtkern Potsdams zu großen Teilen zerstört oder zumindest beschädigt.
In der neu gegründeten DDR stand man nach Abtragen des Kriegsschutts nun also vor der Frage, wie städtebaulich mit der Situation umgegangen werden sollte.
Die barocke Garnisonsstadt war als Zentrum des preußischen Militarismus symbolisch aufgeladen. Nun sollte Potsdam eine neue Rolle als moderne, sozialistische Stadt spielen. Seine bauliche Geschichte sollte dabei jedoch nicht gänzlich verleugnet werden.

Fachhochschule Potsdam mit Statue am Obelisken auf dem Alten Markt, Zugvogel, CC-BY-SA 3.0

Die Umsetzung dieser Linien äußerte sich baupolitisch durch den Abriss einiger Gebäude, wie dem Stadtschloss am Alten Markt. Am gleichen Ort entschied man sich jedoch auch für die Rekonstruktion von markanten Gebäuden wie der Nikolaikirche und dem Alten Rathaus.
Das Leitbild einer modernen Stadt wurde besonders durch die Errichtung von Neubauten im Stadtzentrum verfolgt. Nach dem Abriss des Stadtschlosses (1960) entstand in den 70er Jahren in unmittelbarer Nachbarschaft zu den historischen Fassaden des Alten Marktes ein Gebäudekomplex aus Bibliothek und Bildungszentrum.

Das Institut für Lehrerbildung/
Die Fachhochschule Potsdam

Ein Jahr nach Baubeginn der Wissenschaftlichen Allgemeinbibliothek begannen auch die Arbeiten am baulich anschließenden IfL mit dem Beinamen „Rosa Luxemburg“. Trotz der modernen Architektur des Dreigeschossers, die sich bewusst abwechslungsreich von den historischen Fassaden abheben sollte, war man bemüht, durch gestalterische Reminiszenzen an die barocken Gebäude Potsdams ein stimmiges Ensemble zu erzeugen.
Besonders eine das Gebäude umfassende Kolonnade und vorgebaute Stahlbetonlamellen, die die Fassade des Gebäudes unterteilten, sowie sternförmige Verbindungselemente prägten die Erscheinung des Institutsgebäudes. Mit Gelb war es zudem in einer Farbe gestrichen, die sich in Potsdam auch an anderer prominenter Stelle, beispielsweise dem Schloss Sanssouci, wiederfindet.

Ab seiner Eröffnung 1977 wurden im IfL vor allem Unterstufenlehrer*innen ausgebildet. Dafür wurde kein Abitur benötigt. 
Die Wende bedeutete auch das Aus für das IfL. Stattdessen zog 1991 die FH Potsdam ein. 

Erste Berührungspunkte mit dem Gebäude
„Ich habe mich häufig verirrt, gerade in den Anfängen…“
Fachhochschule Potsdam, Sebastian Ziebell, CC BY-NC-SA 2.0
Das Gebäude und seine Umgebung
„Natürlich war das ein Kontrast, aber ich fand das jetzt nicht störend“
Als Student*in am IfL/der FH
„Man war plötzlich noch mehr auf der Suche. Wie kann mein Leben jetzt weitergehen?“

Die Neugestaltung des Alten Marktes

Mit der Wende änderte sich auch die Potsdamer Baupolitik. Neue Leitlinie war die „behutsame Wiederannäherung an das charakteristische, gewachsene historische Stadtbild“. Der Abriss des Rohbaus des Hans-Otto-Theaters, welches ab 1988 am Alten Markt entstehen sollte, war eine erste Konsequenz.
In den Folgejahren drehten sich Planung und einhergehende Debatten um die Stadtmitte besonders um den Wiederaufbau des Stadtschlosses, in welches 2014 der Brandenburger Landtag zog.
Doch es taten sich auch neue Konfliktfelder auf. Besonders das angrenzende Gebäude der FH stand – nach weiteren Abrissen von Teilen des 70er Jahre-Ensembles und mit seiner seit Jahrzehnten nicht gepflegten Fassade – nun in deutlichem Kontrast zu den barocken Fassaden der anderen Gebäude am Alten Markt.
Nach Beschlüssen der Stadtverordnetenversammlung konkretisierten sich die Pläne, auch diesen Bereich durch einen Abriss der FH und einen anschließenden Neubau von Gebäuden mit barocken Fassaden dem preußischen Stadtbild wieder anzupassen.
Widerstand der Potsdamer*innen äußerte sich in Form eines letztlich abgelehnten Bürgerbegehrens der Initiative „Potsdamer Mitte neu denken“ und einer Besetzung des Gebäudes im Juli 2017. 

Alter Markt, Abriss der Fachhochschule, Sol Octobris, CC-BY-SA 4.0

Der beschlossene Abriss konnte nicht verhindert werden. Die letzten Fakultäten der FH zogen in den neuen Campus im Norden Potsdams um und die Entkernung des Gebäudes begann. Ab Mai 2018 wurde die Fassade abgetragen. Parallel dazu liefen die Vergabeverfahren für die Bebauung der frei werdenden Grundstücke. Ein Großteil soll nun von Genossenschaften, hauptsächlich mit Wohnflächen, bebaut werden.

Abriss und Stadtpolitik
„Das FH-Gebäude kann man nicht trennen von seiner Nutzung“
Abriss der Fachhochschule, im Hintergund der Alte Markt, Sol Octobris, CC-BY-SA 4.0

Potsdam im Streit um sein architektonisches Erbe

Architektur und Geschichte
„Sind Gebäude Zeugnisse des Systems oder Zeugnisse des Zeitgeistes?“

Der Fall der FH steht nur stellvertretend für mehrere historische Gebäude, um die in Potsdam Debatten geführt werden. Häufig geht es dabei um einen Abriss von Architektur aus DDR-Zeiten, wie den Staudenhof und das Hotel Mercure im Stadtzentrum sowie das Terrassenlokal Minsk in der Nähe des Hauptbahnhofs. Während Letztere wohl bestehen bleiben, sieht es für einen Erhalt des Staudenhofs ab 2022 schlecht aus. Doch nicht nur Abrisse spalten die Potsdamer*innen, auch der Wiederaufbau der Garnisonkirche, Ort des  inszenierten Schulterschlusses Hitlers und Hindenburgs am „Tag von Potsdam“, sorgt für Konflikte. Auch, weil ein vollständiger Wiederaufbau zwangsläufig den Abriss des angrenzenden Rechenzentrums, dessen Räumlichkeiten zur Zeit von Potsdamer Künstler*innen genutzt werden, bedingen würde.

Fachhochschule Potsdam, Andreas Levers, CC BY-NC-SA 2.0

Der Streit um den richtigen Umgang mit der architektonischen Geschichte Potsdams ist also längst nicht beigelegt. 

Auch wenn sich die Potsdamer Architekturdebatten häufig um die Vergangenheit einzelner Gebäude drehen: Die Interviews mit Katrin, Ernst und Emil haben letztlich gezeigt, dass nicht der Verlust eines Gebäudes aus der DDR im Zentrum ihrer Kritik steht, sondern vor allem, dass öffentlicher Raum aus der Stadtmitte verschwindet.
Die individuelle Nutzungsgeschichte scheint ihre Wahrnehmung des Gebäudes also weitaus mehr zu prägen, als seine historische Bedeutung.


Literatur

Carsten Dippel, „Wir schaffen einen neuen Geist“. Sozialistische Baupolitik in Potsdam, in: Potsdamer Bulletin für zeithistorische Studien NR. 30-31/2004, S. 23-34, https://zzf-potsdam.de/sites/default/files/publikation/Bulletin/dippel_30.pdf (zuletzt abgerufen 07.03.2019).

Christian Klusemann, Das andere Potsdam. DDR Architekturführer. 26 Bauten und Ensembles aus den Jahren 1949-1990, Berlin 2016.

Martin Sabrow, Die Garnisonkirche in der deutschen Geschichtskultur, in: Michael Epkenhans, Carmen Winkel (Hrsgg.), Die Garnisonkirche Potsdam. Zwischen Mythos und Erinnerung, Freiburg/Berlin/Wien, 2013, S. 133-160.

Links

Offizielle Informationen zum Sanierungsgebiet: http://www.potsdamermitte.de/index.php?id=aktuell

Internetauftritt der Initiative „Potsdamer Mitte neu denken“: https://www.potsdamermitteneudenken.de/

Vielen Dank an:
Katrin, Ernst und Emil für die Interviews
Milan Rottinger für das Mastering: https://milanpeals.com/