Westberlin – Was ist geblieben? http://was-ist-geblieben.de Geschichten von Menschen und Dingen drei Jahrzehnte nach dem Ende der DDR Sun, 03 Nov 2019 11:58:38 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.4 Ein kleines Dorf in Nordfriesland erinnert sich http://was-ist-geblieben.de/ein-kleines-dorf-in-nordfriesland/ Fri, 08 Feb 2019 11:37:01 +0000 http://was-ist-geblieben.de/?p=382 Ein Beitrag von Berit Pohns

Rantrum ist ein kleiner, beschaulicher Ort in Nordfriesland. Die meisten Leute sagen sich hier beim Spazieren gehen noch „Guten Tag“ oder man grüßt durch ein knappes „Moin“. Dieses Dorf ist nicht nur der Ort, an dem ich groß geworden bin, auch meine Eltern sind hier geboren und aufgewachsen. Ebenso sind ihre Eltern „waschechte Nordfriesen“. Nur mein Opa, der Vater meiner Mutter, ist kein Urgestein aus Rantrum und damit fast schon so etwas wie ein Exot. Mein Opa ist in Blankenfelde großgeworden und somit in einem Teil Deutschlands, der später die DDR geworden ist. Er verließ Blankenfelde vor dem Mauerfall und ging nach Nordfriesland, wo er meine Oma kennenlernte und blieb. In der DDR zurück blieben Erinnerungen und ein Stück Heimat.

Nachdem ich im letzten Jahr für das Studium nach Berlin gezogen bin, ist mir schnell aufgefallen, wie wenig ich über die Geschichte von Ost- und Westberlin weiß. Ich kannte zwar einige wichtige Daten, genauer beschäftigt habe ich mich mit dem Thema aber weder in der Schule, noch privat. Hin und wieder gab es Dokumentationen im Fernsehen, aber eine richtige Vorstellung von einem Leben in der DDR hatte ich nicht. Ich begründete es damit, dass ich erst nach der Wende geboren wurde und nicht nah genug an Berlin aufgewachsen bin. Bei einem Besuch meiner Eltern erzählte ich beiden von meiner These. Schnell kamen wir in eine Diskussion darüber, inwieweit das Thema DDR in Rantrum überhaupt eine Rolle gespielt hat. Ging es nur mir so, dass ich zu wenig wusste und nie sonderlich viel Interesse an der Thematik hatte? Oder war Rantrum einfach zu weit weg, zu klein, zu sehr auf dem Land, als dass es das große Geschehen im Blick hatte?

Interessierte es jemanden in diesem kleinen Dorf, was da am anderen Ende Deutschlands vor sich ging? Wurde es in der Schule besprochen, vielleicht sogar kritisiert? Hat es privat Menschen in Rantrum beeinflusst? Und wenn ja, welche Assoziationen haben sie zu diesem Teil der Geschichte Deutschlands, die irgendwie auch ihre Geschichte ist? Und irgendwie auch nicht…. Ich begann mich auf die Suche und wollte wissen:

Wenn du an die DDR denkst, an was erinnerst du dich?

Hans Jürgen Dau-Schmidt

Unmittelbar in der Nachbarschaft wohnt Hans Jürgen Dau-Schmidt. Meine Eltern kennen ihn schon lange. Ich solle ihn fragen, wenn ich genaueres wissen möchte, er würde bestimmt gern Auskunft geben.

Hans Jürgen, Jahrgang 1934, ist gut auf das Gespräch über die DDR vorbereitet. Bereits im Vorfeld hat er um die Fragen gebeten, auf dem Tisch in der Küche liegen Stapelweise Bücher zur DDR Geschichte.
„Um meinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, ich weiß ja auch nicht mehr alles aus dem Kopf.“, sagt er. Es gibt Plätzchen und Cappuchino und unmittelbar beginnt er zu erzählen: „Die DDR wurde uns durch die Presse als nicht gerade menschenfreundlich dargestellt. Es waren nicht die Menschen oder das Land, die wir damals ablehnten. Es war das kommunistische System. Das wahre Gesicht zeigte die DDR-Regierung ja schon 1953, als die Bevölkerung auf die Straße ging. Der Aufstand wurde mit russischer Hilfe blutig niedergeschlagen.“

Es dauert ein bisschen, bis wir über meine eigentlichen Fragen sprechen. Was genau ist seine persönliche DDR-Geschichte? Ich wusste bereits, dass sein Sohn seinen Meister als Tischler gemacht hatte. Direkt nach der Wende ging er in die ehemalige DDR, genauer gesagt nach Waren in Mecklenburg-Vorpommern, weil es dort als Tischler wohl gute Möglichkeiten für ihn gab.

Privatbesitz Karl-Heinz Schüttpelz, seine Notizen für unser Gespräch
Privatbesitz Karl-Heinz Schüttpelz, Tischlerei des Sohns in der DDR
Privatbesitz Karl Heinz Schüttpelz, linkes Bild: das erste Bauprojekt in der DDR, rechtes Bild: Sein Sohn arbeitet als Tischler in der DDR, Jahr 1990


„Arbeit gab es da für ihn genug“, erzählt Hans Jürgen, „Er hat dann da mit seiner Familie ein Haus gekauft und eine eigene Firma aufgebaut. 20 Mitarbeiter aus der ehemaligen DDR hat er dort beschäftigt. Es bestand ja ein großer Bedarf.“
„Und was hast du damals gedacht, als dein Sohn in den Osten gezogen ist?“, möchte ich wissen. „Ich hatte ein bisschen Sorge, dass er dort nicht gut aufgenommen wird. Aber die Sorge war unbegründet. Er wurde sofort akzeptiert.“ Hans Jürgen und seine Frau haben ihren Sohn 1990 direkt das erste Mal besucht. Aus vielen Gesprächen mit den damaligen Mitarbeiter*innen, mit Nachbar*innen und Freund*Innen seines Sohnes berichtet er: „Die größte Lüge der DDR war die Aussage ‚Gleiches Recht für alle‘. Das galt nur für die Oberschicht, die kleinen Leute, die Tischler zum Beispiel oder die Verkäufer, die hatten es schwer.“

Und wenn er, aus heutiger Sicht, beurteilen sollte, ob die Wiedervereinigung für ihn Schaden oder Nutzen gebracht hat?
„Meinem Sohn hat es genutzt.“

Marlene Schüttpelz

Privatbesitz Marlene Schüttpelz, Reisepass ihrer Mutter mit Stempeln aus der damaligen DDR

Marlene Schüttpelz ist meine Tante. Sie ist gerade 70 Jahre alt geworden. Demnach erinnert sie sich noch an die Zeit, als es zwei deutsche Staaten gab. Durch meine Mama kannte ich die Geschichte meines Opas bereits in groben Zügen. Aber da Marlene einige Jahre älter als meine Mutter ist, erinnert sie sich noch ein wenig klarer an die Zeit.

„Ich erinnere mich, dass Mama und Papa immer Carepakete zusammengestellt haben. Mit Kaffee und all solchen Sachen. Da musste immer ganz exakt aufgelistet werden, was in den Paketen enthalten war.“ Nachdem Marlene ihre Tochter Bettina zur Welt gebracht hatte, bekam sie auch mal Post aus der DDR. Eine Freundin ihrer Eltern wollte der Kleinen etwas zur Geburt schenken. Das Problem dabei, so beschreibt sie die Lage, sei gewesen, dass sie zurzeit keine Kinderkleidung in den Geschäften gefunden habe. Also musste Gratulationspost genügen. Mein Opa und meine Oma sind sogar in die DDR gereist um sich die ehemalige Heimat meines Opas anzusehen. Marlene hat den Reisepass ihrer Mutter aufgehoben. Die Stempel dokumentieren die Ein- und Ausreise.

Darauf angesprochen, ob Marlene sich damals viel mit der DDR auseinandergesetzt hat, da ihre Familie ja direkt von der Trennung betroffen gewesen sei, schüttelt sie den Kopf und formuliert es schmunzelnd so: „Berlin, das war damals ganz weit weg für uns. Hamburg war ja schon so weit weg. Für uns war es gar nicht richtig interessant, was noch weiter weg passierte. Natürlich hab ich mitbekommen, dass Papa mal über das eine oder andere gesprochen hat. Aber wir waren mit uns beschäftigt. Mit unserem Leben hier.“

Sönke Pohns

Das Gespräch mit meinem Vater Sönke über die DDR war eigentlich nicht geplant und findet ganz spontan in unserer Küche beim Frühstück statt. Ich erzähle ihm von meinen bereits geführten Gesprächen, von den Projekten der Kommilitonen und von meinem Eindruck, dass hier, im hohen Norden, die DDR trotz einiger persönlicher Verbindungen, gar nicht so eine bedeutende Rolle gespielt hat.
„Was ist denn von der DDR für dich geblieben, Papa?“
„Für uns hier oben ist nur der Soli geblieben, mehr nicht.“ Über seine Antwort muss ich schmunzeln, will es aber dennoch genauer wissen:
„Was wusstest du im Allgemeinen denn von der DDR?“, frage ich ihn und er berichtet, dass alle im Dorf von der ‚Mauer da irgendwo im Osten wussten‘, aber so richtig interessiert hatte man sich in seinem Freundeskreis nicht dafür.

„Als ich zur Handelsschule gegangen bin, sind wir auf Klassenfahrt in Berlin gewesen und haben auch Ostberlin besucht. Wir mussten durch den Checkpoint Charlie. Ich erinnere mich noch gut an die Passkontrolle. Die Passabfertigung erschien uns unheimlich lang. Wir mussten den sogenannten Zwangsumtausch von damals so 20 DM machen, damit sollte man dann einkaufen. Man konnte das Geld aber gar nicht ausgeben. Das Restgeld durfte man aber nicht wieder mit zurück nehmen. Und der Geruch war von den ganzen Trabbis sehr schlecht. Es war irgendwie beklemmend und man war schon froh, als man dann wieder zurück in Westberlin war.“

Er erzählt noch ein bisschen mehr von seinen Eindrücken der DDR, die sich im Wesentlichen nicht von denen von Hans-Jürgen unterscheiden: Graue Häuser, Plattenbauten.

Und was ist nun von der DDR geblieben? In Nordfriesland, in Rantrum?

Nach den Gesprächen versuche ich, das Gehörte zu ordnen. Rantrum, knapp 260 Kilometer von der ehemaligen Grenze der DDR entfernt. 570 Kilometer zur innerberliner Grenze. Ein großer Abstand zur Geschichte, aber nicht groß genug, als dass nicht alle drei Interviewten irgendwie mit der DDR in Berührung gekommen sind. Dennoch bleibt zusammenfassend der Eindruck, dass das Thema DDR, Wende und Wiedervereinigung kaum Einfluss auf das Leben der Menschen in Rantrum genommen hat.

Ich stelle am Ende der Interviews allen drei Interviewpartner*innen die gleiche Frage: „Denkst du, dass es dich in deinem Leben beeinflussen würde, wenn es die DDR noch geben würde?“ und bekomme von allen die gleiche Antwort: „Nein. Letztendlich nicht wirklich.“

Sie sind zwar alle froh, dass der Zusammenschluss friedlich verlief. Sie reisen gerne mal nach Dresden, nach Berlin oder Leipzig. Aber geblieben ist hier nur eine leise Erinnerung an eine Mauer, die Deutschland in zwei Seiten trennte, dass es „damals dort drüben nicht viel gab.“

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Und zur Nähe wird die Ferne http://was-ist-geblieben.de/und-zur-naehe-wird-die-ferne/ Tue, 05 Feb 2019 07:37:11 +0000 http://was-ist-geblieben.de/?p=95 Die Präsenz der DDR
Eine bildlich-akustische Annäherung

Ein Beitrag von Ayse Kizilkulak

Was ist von der DDR geblieben? Diese Frage stellte sich zu Beginn unseres Seminars im Winter-semester 2018/19. In meinem Kopf waren blasse Sequenzen. Bilder kamen auf von Hammer und Zirkel, von Menschen, die über die Mauer auf die andere Seite klettern, vom Checkpoint Charlie.

„Wirklich?“, dachte ich, „ist das alles?“ .

Warum wissen viele Menschen heute so wenig über die einstige Teilung Deutschlands, über eine Diktatur, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Bundesrepublik abgespielt hatte? Über die unmittelbaren Auswirkungen auch nach dem Mauerfall auf die Gesellschaft und die Kultur der Gegenwart?

Als eine Person aus dem tiefen Südwesten der Bundesrepublik, neu nach Berlin gezogen, wollte ich auf Spurensuche gehen. Ich wollte die DDR in die Gegenwart holen, in mein Bewusstsein. Die Orte sehen, an denen Menschen gelacht, geweint, gegessen, oder vielleicht sogar eine Reise angetreten haben. Mein kleiner Beitrag soll versuchen die gefühlte Ignoranz und zeitlich-räumliche Ferne zu durchbrechen und zur Nähe werden lassen. Nicht alles, was die DDR einst ausmachte ist einfach so von der Bildfläche verschwunden, zumindest nicht in Berlin. Menschen, Architektur, Kultur, Musik, Gewohnheiten: Es gibt sie, die kleinen Anhaltspunkte und Erinnerungssplitter. Gewisse Dinge sind noch da. Andere eben nicht mehr. Gewisse Dinge sind ausgeschildert. Andere nicht. Was ist also von der DDR geblieben und was nicht?

Sehen und hören Sie (am besten beides gleichzeitig) selbst.

Eine Annäherung.

 

Blick auf die Berliner Mauer, im Vordergrund ein Freund von D. Hubert Peuker in der Strelitzer Straße, die damals Egon-Schultz-Straße hieß.
Blick auf die Berliner Mauer, im Vordergrund ein Freund von D. Hubert Peuker in der Strelitzer Straße, die damals Egon-Schultz-Straße hieß.
Bildmontage; Originalbild: Stiftung Berliner Mauer / Foto: Detlef Hubert Peuker


Bildansicht

 

“Republikflucht“
Hubert Peuker spielt schon lange mit dem Gedanken, die DDR zu verlassen. Geboren 1953 in Braunschweig, fühlt er sich in seiner neuen Heimat, der DDR, in die seine Familie Mitte der 1950er Jahre noch vor dem Mauerbau umsiedelte, nie wirklich wohl. Früh beginnt er aufzubegehren und gegen jegliche Form von politischer Bevormundung und Entmündigung Einspruch zu erheben. Nach der achten Klasse bricht er die Schule ab und beginnt eine Lehre als Maurer. Die Zustände im Ausbildungsbetrieb desillusionieren ihn zunehmend und verstärken den Gedanken, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Im jugendlichen Alter von sechzehn Jahren entscheidet er sich endgültig für die Flucht in den Westen. Dort lebt die Familie der Mutter mit seinem älteren Bruder. 

Der Besuch Ost-Berlins im Sommer 1969 ist ein wesentlicher Teil seiner Fluchtvorbereitungen. Zurück in Jena wertet Peuker die Fotos, die er mit einer einfachen Schwarz-Weiß-Kamera der Marke „Werra“ aufgenommen hat, auf der Suche nach einer geeigneten Stelle für die Überwindung der Grenze aus. Er muss die Fotos mithilfe eines kleinen Bausatzes aus Entwicklungsdose, Wannen und Chemikalien in dem zur Dunkelkammer umgebauten Dachboden des Familienhauses selbst entwickeln, da die Abgabe seiner brisanten Bilder an ein Fotolabor viel zu gefährlich wäre. 

Text: Stiftung Gedenkstätte Berliner Mauer [1]

Das Bild, das auf der Fotomontage zu sehen ist, zeigt die Sicht auf die Berliner Mauer 1969. Das Titelbild dieses Beitrages zeigt die Sicht über die Strelitzerstraße in die andere Richtung, ins „Innere“ Ostberlins. Die Strelitzerstraße verläuft quer zur Bernauerstraße.

Die in der Bildbeschreibung erwähnte Umbenennung ist an ein größeres, vom MfS später politisch-mystifiziertes Narrativ gebunden. Die Strelitzerstraße 55 wurde später durch den „Tunnel 57“ bekannt – ein Fluchttunnel, mit Hilfe dessen 57 Flüchtlinge aus Ostberlin fliehen konnten. Von westdeutschen Studenten in elf Meter Tiefe gegraben, verlief der 145 Meter lange Fluchttunnel von einer stillgelegten Bäckerei in der Bernauer Straße zum Hof der Strelitzerstraße 55, wo er in einem Toilettenhäuschen endete. An der Mauer oder im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Grenzregime starben zwischen 1961 und 1989 mindestens 140 Menschen. Zuzüglich dieser Zahl lag unter Reisenden die Anzahl der Todesopfer an den Berliner Grenzübergängen bei 251. Mindestens 5.075 DDR-Bürgern*innen gelang die Flucht zwischen Mauerbau und Mauerfall. [2]

 Auf dem Bild ist der Springbrunnen am Strausbergerplatz zu sehen.

 

Bildmontage; Originalbild: Bundesarchiv, Bild 183-H1002-0001-001 / Foto: Peter Heinz Junge /
CC-BY-SA 3.0


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Architektur
Mitten am Strausberger Platz angekommen, erschlägt einen die Architektur der langen Alleen beinahe: Ich muss aufpassen, als ich die Straße überquere, um näher an den Springbrunnen zu kommen. Schnell stellt sich heraus, dass der Fotograf des Bildes in der Bildmontage wusste, was er tat: Die Perspektive, die er gewählt hatte – nahezu unmöglich in das äußere Gesamtbild einzuordnen.

Der Strausberger Platz, vor allem aber die ehemalige Stalinallee – Anfang 1960 in Karl-Marx-Allee umbenannt, sollte mit ihrer Außenarchitektur den Sozialistischen Realismus symbolisieren und gleichzeitig für mehr Wohnraum sorgen. Die Gestaltung der Magistrale, die imposanten mehrstöckigen Hochhäuser am Strausberger Platz sowie die auf dem Bild in der Bildmontage zu sehenden Hochhäuser am ehemaligen Leninplatz (heute Platz der Vereinten Nationen) entstanden in einem Kontext mehrerer architektonischer Umbrüche in der Nachkriegszeit. Insbesondere der ehemalige Leninplatz sollte als politisches Vorzeigeobjekt dienen und zeigt die von der Sowjetunion auch in der SBZ angeordnete architektonisch-künstlerische Richtlinie. In der Mitte des Platzes stand eine monumentale Leninfigur, welche vom Präsidenten der Akademie der Künste der Sowjetunion – Nikolai Tomski, gestaltet wurde.[3]
Die (originale) Bildunterschrift des Bildes in meiner Bildmontage zeigt den propagandistischen Ton und die Bedeutung dieses Fotos für den Vorzeigeeffekt dieser Neubauten.

„Zentralbild-Junge-2.10.69-sze-Berlin: 20.Jahrestag DDR-Höher als das Hochhausensemble am Leninplatz scheinen hier die Fontänen des Springbrunnens am Strausberger Platz zu sein. Unser Bildreporter verkürzte mit dem Teleobjektiv die mehrere 100 Meter weite Entfernung zwischen beiden Objektiven. Bis zum 7.Oktober 1969 werden die 17-, 21-und 25geschossigen Hochhausabschnitte am Leninplatz rohbaufertig sein.“

Das Gebäude auf der Bildmontage auf dem folgenden Bild ist das ehemalige „Haus des Kindes“ am Strausbergerplatz 19.[4] Vielleicht ist das Bild ebenfalls aus diesem Grund nicht zufällig an diesem Ort zu dem in der Bildunterschrift genannten Anlass entstanden … Beide genannten Bilder sind in Auftrag und für den ADN aufgenommen.

 

Auf dem Bild sind Kinder, die Bocksprünge machen zu sehen. 4. Volkssporttag DDR

 


Bildmontage; Originalbild: Bundesarchiv, Bild 183-72771-0001 / Foto: Ulrich Kohls


Bildansicht

 


Sport
„Breiten“- und Spitzensport spielten in der DDR eine große Rolle: Kinder und Jugendliche wurden bereits im Kindergartenalter von Ärzt*innen und Trainern danach begutachtet, wer später einmal als Leistungssportler*in ein(e) Turner*in, Ruder*in oder vielleicht doch Schwimmer*in (usw.) geeignet sein könnte. Wurde ein Talent entdeckt, so konnte der Weg über die Trainingszentren, Jugendsportschulen (KJS) bis hin zur Olympiade reichen. Neben den Volkssporttagen gab es ab 1965 die Spartakiaden, auf die sich die Sportclubs wegen des Schau-Charakters oft im Wettbewerb vorzubereiten versuchten. Hier nahmen insbesondere Kinder und Jugendliche teil, deren Leistung nicht ganz zum geförderten Leistungssport gereicht hatte und sie Sport eher aus Freude betrieben. Es gab Spartakiaden für Kindergartenkinder bis zu Senioren. [5] Die Motivation der breiten Gesellschaft zur regelmäßigen sportlichen Betätigung – selbst während des Urlaubes oder in Betrieben und betrieblich organisierten Sportfesten, wurde zur flächendeckender Aufforderung, die die DTSB bis in die kleinsten Fitnessaktionen dörflicher oder städtischer Natur förderte. Massensport in der DDR war wichtig und wurde in den verschiedenen Veranstaltungen immer mit politischen oder gesellschaftlichen Ereignissen verknüpft, in der auch Olympiasieger gerne mal zu Wort kamen und diesen organisierten Sportveranstaltungen nach außen hin Glanz verleihen sollten. Die Sportveranstaltungen sollten zur Motivation der Menschen zu mehr sportlicher Betätigung dienen; die starke Verbindung der SED mit dem Alltagssport demonstrierte allerdings Walter Ulbricht in einer seiner berühmten Aussagen im Stadion des „Treffpunkt Olympia“ 1959: „Jedermann an jedem Ort – einmal in der Woche Sport“. Diese Losung sei fortan als programmatische Orientierung für den Sportalltag der DDR betrachtet worden sein. [6]

Das in der Bildmontage verwendete Bild trägt folgende (original) Bildunterschrift: Zentralbild Kohls Ks-Noa 2.5.1960 4. Volkssporttage auch in der Stalinallee. Wie überall in der DDR so finden auch in Berlin vom 30.4. – 8.5.1960 die 4. Volkssporttage statt. Kleinfeldhandball-Turniere, Fußballkurzspiele, Volleyball, Kegeln, Gymnastik und viele andere Disziplinen stehen dabei auf dem Programm für den „Sport für jedermann“. UBz: Große Sprünge machen hier Schulkinder am Strausberger Platz.

Auf demBild ist die U-Bahnhaltestelle Berlin Hönow zu sehen

 

Bildmontage; Originalbild: Sludge G / Linie U5 Endstation – Hönow U-Bahnhof, Berlin DDR Jan 1990 / CC BY-SA 2.0


Bildansicht

 


Reise
Im Zuge zunehmender Wohnungsneubauten in Ostberlin sollte die U-Bahnlinie E (heute die U5) bis nach Hönow erweitert werden. Innerhalb von vier Jahren wurde die Linie zwischen 1985 und 1989 ausgebaut. Eine Fahrt vom Alex nach Hönow kostete 27 Pfennig und dauerte 37 Minuten. Heute ist die U5 immer noch die einzige U-Bahnlinie, die zwischen Alexanderplatz und Hönow und umgekehrt direkt verkehrt. [7] In Hönow angekommen stellte sich mir die Frage, ob und wie die Menschen außerhalb Ostberlins wohl verreist sein könnten.

DDR-Bürger*innen konnten über den in die ČSSR, nach Polen, Ungarn, Bulgarien und die UdSSR reisen. Aufgrund der geringen Anzahl zur Verfügung stehender Plätze konnte allerdings nur ein Drittel der nachgefragten Reisen in diese Hauptreiseländer vermittelt werden[8] Anfangs beschränkten sich die Reisen eher auf Rumänien und Bulgarien, wo die Menschen auf eigener Faust versuchten, die Landschaften zu erkunden. Später kam ein gewisser organisierter „Tourismus“ hinzu, welcher zunächst staatlich subventionierte (aber auch dementsprechend kontrollierte) Gruppen- und Einzelreisen durch Vermittlung ermöglichte. In der DDR selbst boten sich viele Landschaften als Erholung an. Unter diesen Gebieten waren Küstengebiete, die Mittelgebirge sowie Wald-Seen-Gebiete. Am attraktivsten und das am meisten frequentierte Gebiet war die Ostseeküste.[9]

Auf dem Bild unten sehen Sie die Endhaltestelle der U5 Linie „Hönow“.
Schieben Sie den Regler, um sich das volle Bild des Bahnhofes komplett anzuschauen. Im zweiten Bild sehen Sie eine fast komplett leere U-Bahn. Hönow war der östlichste Punkt meiner kleinen Bilderreise. Die DDR endete oder begann hier natürlich nicht. Über die neuen Bundesländer in der DDR-Zeit wurde in diesem Beitrag wenig bis gar nicht gesprochen. Die zunehmende Leere in der U-Bahn vom Strausberger Platz Richtung Hönow verband ich neben dem Staunen, wie eine U-Bahn tatsächlich leer aussehen kann (!) mit dem zunehmenden Unwissen über die heutigen neuen Bundesländer und die Geschichte ihrer Menschen. Schauen Sie sich gerne die Beiträge meiner Kommiliton*innen an, die hierzu andere Geschichten erzählen.

Das obige Bild trägt folgende Bildunterschrift:
The terminus of the newly extended U-Bahn line into the mushrooming suburbs of north east Berlin. It was only opened in July 1989, and I had read about it in the turgid pages of Kraftverkehr, an odd transport magazine sold in Kiosks, full of equations juxtaposed with fuzzy pictures of antediluvian IFA S4000 trucks and Ikarus buses.
This line is now known as the U5.

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Auf dem Bild ist die U-Bahnhaltestelle Berlin Hönow zu sehen

 

 

 Auf demBild ist eine leere Ubahn von innen zu sehen
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[1] Bild/O-Ton/Text: https://www.berliner-mauer-gedenkstaette.de/de/einblicke-in-die-sammlungen-1059.html 

[2] http://www.chronik-der-mauer.de/fluchten/
http://www.chronik-der-mauer.de/todesopfer/
https://www.berliner-mauer-gedenkstaette.de/de/grenzsoldaten-456,462,2.html

[3] Ribbe, Wolfgang (Hrsg.): Die Karl-Marx-Allee zwischen Straußberger Platz und Alex, mit Beträgen von Peter Brandt u.a., Berlin-Forschungen der Historischen Kommission zu Berlin Bd.6, Berlin 2005, S. 5 f., 95 f..

[4] Adam-Tkalec, Maritta: Stadtgeschichte. Als der Strausberger Platz 19 noch ein Paradies für Kinder war, in: Berliner Morgenpost, 09.01.17, URL:  https://bit.ly/2FnOjiq

[5] mdr.de/damals/archiv/artikel75384.html#sprung0

[6] Hinsching, Jochen (Hrsg.): Alltagssport in der DDR, Aachen 1998, S. 87-90.

[7] Adam-Tkalec, Maritta: Berlin und das U-Bahn-Netzwerk. Wie die U5 in der DDR den Nordosten erschloss, in: Berliner Zeitung, 19.03.18, URL: https://bit.ly/2FN9mNk

[8] Wolter, Heike: Reisen in der DDR, Erfurt 2011. S. 35

[9] Wolter, Heike: „Ich harre aus im Land und geh, ihm fremd“. Die Geschichte des Tourismus in der DDR. S. 124-128, 130.

 

Bildrechte Beitragsbild: Ayse Kizilkulak

 

 

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