“…die machen ja auch nur Fußball, ge?”

Lothar Kurbjuweit im Gespräch über DDR-Fußball, die Probleme im heutigen Osten und wie es damals wirklich war

Ein Beitrag von Charlie Perris

Im echten amerikanischen Stil des Denkens, dass sich die Welt um uns dreht, beginnt mein Projekt selbstverständlich damit, dass ich über mein eignes Land spreche. Eine Art Erklärung soll das sein. Aber danach geht es weiter mit der DDR und einer Antwort auf die Frage, was von diesem Land geblieben ist. Versprochen.

Schaut man über den großen Teich – und spezifisch in das Land, das sich zwischen Kanada und Mexiko befindet – wäre es dort nicht außergewöhnlich, Fußball als ein Spiel nur für Kinder zu betrachten. Man kickt ja ein wenig in der Grundschule oder vielleicht etwas länger, wenn die Leidenschaft dafür vorhanden sein sollte. Uns interessiert aber vor allem der knochenbrechende American-Football oder der traditionelle, todlangweilige Baseball, nicht diese Sportart, wo die Spieler komische Namen tragen und die Verwendung von Händen unerwünscht ist.

Selbstverständlich bin ich also während meiner Zeit in Deutschland komplett überrumpelt gewesen, mitzuerleben, wie Herz und Seele eines Volkes für den Fußball schlägt. Ein Jahr in Jena, Thüringen zeigte mir eine immer noch leidenschaftliche Fankultur, eine mit Wurzeln, die tief in der Region und in der Geschichte der ehemaligen DDR eingepflanzt sind. Auf die Frage zu antworten, was von der DDR bleibt, musste ich an die Meistersterne auf dem FC Carl-Zeiss-Jena Trikot denken, Meistersterne aus einem Land, das es nicht mehr gibt.

Durch Kontakte aus meiner Jenaer Zeit ist es mir gelungen, ein Interview mit Lothar Kurbjuweit zu bekommen. Kurbjuweit zählt zu den berühmtesten und wichtigsten Fußballspielern der DDR, sogar wenn sein Name heute nicht mehr breit bekannt ist. Als Jena-Spieler war er für den bisher größten Erfolg der Mannschaft mit verantwortlich: der 4-0 Sieg gegen AS Roma und den darauf folgenden Aufstieg ins Finale des Europa-Cup 1980. Als Spieler der Nationalmannschaft ist er nicht nur Olympiasieger 1976 geworden, sondern auch beim legendären Sieg der Nationalelf der DDR gegen die BRD während der WM 1974 dabei gewesen.

Als ich Kurbjuweit im Rathaus-Center Pankow traf, war ich schon eine gute Stunde mit der U-Bahn und Tram dahin unterwegs gewesen. Über den weit weg gelegenen Kreuzberg lächelte Kurbjuweit schlau und gab zu: „Da bin ich nur, wenn mein Navi mich irgendwie dadurch schickt“. Sein ehemaliges Leben als DDR-Bürger und Fußballspieler fand im Osten statt, sein heutiges Leben orientiert sich immer noch um den Osten Berlins herum.

Im Laufe einer guten Stunde tranken wir Kaffee und quatschten über seine Zeit in einem Land, das es nicht mehr gibt, die Freundlichkeit von Fremden sowie die Natur der Feigheit.

Inhaltsverzeichnis:

  1. FC Carl-Zeiss-Jena und die Nationalmannschaft
  2. Das Weitertragen der DDR-Meistersterne
  3. Erfolg und Erinnerung
  4. Das Länderspiel 1974
  5. Die heutige Nationalmannschaft
  6. Grenzen im Kopf
  7. Fußballerische Ostalgie und die Pleite des Ostens
  8. Die Wende und danach
  9. Was bleibt

1. FC Carl-Zeiss-Jena und die Nationalmannschaft

Interessierst du dich immer noch für Fußball, Herr Kurbjuweit?

Ja. Das ist zu hundert Prozent geblieben, auch nach dem Umzug hier nach Berlin. Ich mache nur ein wenig Scouting für den DFB im Nachwuchsbereich und da hast du in Berlin mit Herta und auch Union zwei richtig gute Vereine, die auch – vor allem Hertha – im Nachwuchsbereich eine dominierende Rolle spielen. Jena ist natürlich immer eine Adresse aber ich muss ehrlicherweise gestehen, dass ich seit meinem Umzug, also vor zweieinhalb Jahren, nie wieder in Jena zum Fußball war. Ich sehe mir das ab und an im Fernsehen, aber war nie wieder in Jena zum Fußball.

Du fingst zum Beginn der Saison 1970/71 beim FC Carl-Zeiss-Jena an. Was kannst du mir generell über den Fußball in der ehemaligen DDR erzählen?

Der Fußball war in der DDR ein Gradmesser für Stimmungen. Wie ist das Volk zufrieden – nicht nur mit seiner Mannschaft, sondern auch mit der Politik? Insofern war der Fußball natürlich ein interessantes Medium.

Ich denke mal, dass der Sport in der DDR im Allgemeinen zu einem Politikum geworden ist. Das heißt, dieser Staat, der ja wirtschaftlich große Probleme von Beginn an hatte, hat versucht sich internationale Anerkennung zu verschaffen über den Sport, und das ist ja gut gelungen.

Der Fußball spielte natürlich auch eine Rolle, die war allerdings nicht sehr groß. Es ist natürlich vom Aufwand her, ein ganz anderes Volumen, wenn ich eine Fußballmannschaft nach oben bringen will oder einen einzelnen Sportler. Das ist ein Riesenunterschied und die Medaille zählt genauso viel bei dem Einzelsportler wie bei der Mannschaft.

Und aus deiner Zeit in Jena?

In Jena hat man sehr früh erkannt – [Jenaer und Nationaltrainer Georg] Buschner hat schon in den 60ern viel dafür getan – das, was man sich in der DDR kaum vorstellen konnte, Spieler-Transfers zum Beispiel. Das hat alles Buschner in den 60er gemacht, und ich gehörte 1970 auch mit dazu.

„…die Qualität der Mannschaft, die war da“

Wir hatten eine Mannschaft, die wenigstens zweimal Meister hätte werden müssen. Ich bin fünfmal Vizemeister geworden, das waren immer knappe Entscheidungen. Ich habe aber nie die Meisterschale in der Hand gehabt, bin aber dreimal Pokalsieger geworden. Ich will damit sagen, die Qualität der Mannschaft, die war da.

2. Das Weitertragen der DDR-Meistersterne

Jena ist aber vor deiner Zeit schon dreimal DDR-Meister geworden. Hast du was von der Debatte in den letzten Jahren über das heutige Weitertragen von DDR-Meistersternen mitbekommen? Hast du eine Meinung dazu?

In der DDR war es mit solchen Dingen zu arbeiten, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Nach der Wiedervereinigung kam dieses Thema wieder auf. Möglicherweise beim Aufdrängen der Ostvereine auf die DFB. Das kann ich aber nur vermuten.

„…ich denke mal, dass es eine Goodwill-Aktion des DFB gewesen ist“

Möglicherweise gesagt, wir wollen auch die Meisterschaften der DDR insofern anerkennen, dass sich die Vereine, wenn sie wollen, [Meistersterne tragen dürfen]. Ich denke, das war so eine Art Knäckebrot, „Ihr seid ja auch da gewesen“. Ich werde bei dem Thema dann sehr kritisch, was diese Fußballvereinigung anbelangt. Das ist ein sehr, sehr schwieriges Thema. Also ich denke mal, dass es eigentlich eine Goodwill-Aktion des DFB gewesen ist.

Meinst du, aus deiner Sicht, dass die Sterne eigentlich nicht so wichtig sind?

Wir hatten nicht die ganz großen Erfolge im Fußball. Ich sage, ich halte das für unwichtig. Das ist aus meiner Sicht ein Stück Traditionspflege, hat aber mit der aktuellen Leistung nichts zu tun. Der HSV ist auch mal Meister geworden, und jetzt dribbeln sie in der zweiten Liga herum, und tragen trotzdem die Sterne. Ich bräuchte es nicht, ich lege da überhaupt keinen Wert drauf. Ob da vier Sterne bei Bayern zu sehen sind oder nur einer ist mir völlig wurst

3. Erfolg und Erinnerung

Was bedeuten dir generell deine Erfolge noch? Denkst du immer noch daran?

Natürlich, natürlich. Mein Leben war letztendlich von dieser Fußball-Karriere geprägt. Ich bin mit 19 Jahren nach Jena gekommen, da hat das richtig Klick gemacht. Als junger Spieler lernst du natürlich. Wenn du in so einer Mannschaft mit trainierst, lernst du täglich, wenn du die Augen aufmachst.

„…der Fußball prägt dich, durch und durch“

Das waren natürlich die großen Nummern, die wir hatten. Wir hatten jedes Jahr mit dem FC Carl-Zeiss-Jena Europacupspiele. Wir haben uns eigentlich über zehn Jahre lang jedes Jahr für irgendeinen Wettbewerb qualifiziert. Das hat natürlich auch die Entwicklung geprägt, wenn du dich mit den besten Fußballern Europas misst. Wir haben auch zu der Zeit schon mit vielen Südamerikanern gespielt, in Italien gespielt, in Spanien gespielt, auch in England gespielt.

Das sagenhafte Spiel gegen Roma 1980…

Richtig, die Roma. Und ich denke, wir waren eigentlich nie so weit weg, wir hatten immer die Chance diese namhaften Gegner zu besiegen, zu schlagen. Nein aber der Fußball prägt dich natürlich, durch und durch. Du erinnerst dich unheimlich gern daran. Das ist immer so.

4. Das Länderspiel 1974

Ich würde gerne über das legendäre Länderspiel sprechen, BRD gegen DDR, 1974. Was bleibt für dich im Gedächtnis?

Nun gut, ich sag mal, dieses Spiel war… das wird es nie wieder geben. Es gibt kein Rückspiel im eigentlichen Sinne, das haben wir alles schon durch. Aber vielleicht muss man doch noch eine Minute eher ausholen.

Als wir uns für diese Weltmeisterschaft qualifizierten, war es das allererste Mal, dass sich eine DDR-Mannschaft für eine Fußballweltmeisterschaft qualifizierte und das ausgerechnet in der BRD. Dann kommt die Gruppenauslosung und wir sitzen alle mehr oder weniger gespannt vor den Fernsehgeräten. Dann sagt unser Trainer Buschner: „Hoffentlich kriegen wir die BRD.“ Und wir haben uns alle angeguckt. Für uns war das die Übermacht im Fußball schlechthin.

Wir hatten ja alle West-Fernseher und hatten die Bundesliga geschaut in diesen fantastischen Zusammenschnitten, da es damals noch keine direkte Übertragung von ganzen Spielen gab. Du saßt ja irgendwo und sagtest: „Mensch, was die alles machen, und alles schön bunt!“ Und dann kriegen wir die BRD und Buschner jubelt vor Freude und sagt: „Dann kriegen wir auch die leichteste Gruppe.“ Und der hatte recht, wir hatten also auch Australien und Chile.

Also keine starken Mannschaften?

Die waren nicht so stark. Die waren qualitativ nicht so hoch angeordnet wie die BRD und gegen den Topfavorit zu spielen ist immer eine gute Geschichte.

„Buschner steht auf und fängt an zu singen…“

Wir fuhren im Bus zum Spiel und dort erfuhren wir, dass Chile und Australien unentschieden gespielt haben, also waren wir schon für die Zwischenrunde qualifiziert. Buschner steht auf – ich hatte sowas noch nie erlebt – und fängt an zu singen, vor Freude natürlich, stimmt dort ein Lied an! Wir waren natürlich alle mehr als glücklich und haben gesagt: „Ok das, was wir wollten, die Zwischenrunde zu erreichen, haben wir schon geschafft, egal wie dieses Spiel ausgeht.“ Dann waren wir ja natürlich auch besonders motiviert, jeder für sich.

Gegen den Topfavorit in diesem Land zu spielen. Das Stadion war ja knüppelvoll, in Hamburg waren Fünfzigtausend oder vielleicht ein paar mehr. Das war schon alles für uns eine Herausforderung, für jeden einzelnen, gegen Beckenbauer, gegen Hoeneß, oh Mann (lacht), diese Namen..

Legendär

Das waren schon Legenden. Dann merkst du, die machen ja auch nur Fußball, ge?

Wir haben auch natürlich ein bisschen Glück gehabt. Da trifft der Müller den Pfosten, ja der Ball springt raus, und dann macht Sparwasser das Tor. Normalerweise hätte man, wenn man einigermaßen vernünftig gewesen wäre, sagen müssen, lass unentschieden spielen, oder knapp verlieren, dann kommen wir in eine andere Gruppe in der Zwischenrunde, die vermeintlich leichtere. Aber auf die Idee – sorry – ist überhaupt keiner gekommen. Wir waren so fokussiert auf dieses Spiel und dass wir dieses Spiel gewinnen wollten natürlich oder zumindest wollten wir nicht untergehen. Wir wollten schon auch zeigen, dass wir guten Fußball machen könnten.

„Es musste ja um Erfolg gehen“

Wir haben also den Kopf völlig ausgeschaltet, völlig. Das behaupte ich heute. Völlig ausgeschaltet. Mit ein wenig Vernunft wären wir in die andere Gruppe gegangen und hätten Chancen gehabt, vielleicht uns zu qualifizieren, um Platz drei zu spielen. Ich will damit nur sagen, keiner ist auf die Idee gekommen und hat gesagt, „Hey, gar nicht gewinnen“. Hätte auch keiner offiziell sagen dürfen. Es musste ja um Erfolg gehen.

Es war ja auch politisch, sowas von hoch her gehangen. Wir hätten eigentlich nach diesem Spiel abreisen sollen… (lächelt schlau) Ich übertreibe jetzt ein wenig, ja? (lacht)

5. Die heutige Nationalmannschaft

Im Bezug darauf, wie ist es heute, wenn du die deutsche Nationalmannschaft anschaust? Siehst du eine wesentlich westliche Mannschaft? Ist das irgendwie schwierig für dich?

Ich sag mal so, ich habe jetzt keine Schweißausbrüche, wenn ich die Jungs sehe. Mich interessiert aber schon, wie sie Fußball interpretieren. Ich bin jetzt nicht der große Fan, der da die Fahne raushängt und die Nationalhymne singt, das tue ich nicht. Aber ich bin sehr interessiert an der Leistung dieser Mannschaft und ich nehme auch viele Infos auf. Wie sie heute trainieren, wie sie das taktisch angehen, solche Dinge interessieren mich mehr, also die Details, nicht der Auftritt. Ob da einer die Hymne singt oder nicht ist mir sowas von egal.

Aber ich möchte schon wissen, weil ich immer noch glaube, dass wir in der DDR zu viel trainiert haben, zu intensiv trainiert haben und am eigentlichen Fußball vorbei trainiert haben. Wir haben viel zu viel Athletik gemacht, wir haben viel zu wenig technisch gemacht und viel zu wenig Taktik. Und von dieser Meinung könnte mich auch noch keiner meiner ehemaligen Kollegen abbringen.

Und heute ist das anders bei der Nationalmannschaft?

Ja, sorry. Wenn ich allein die Trainingsumfänge nehme, die sie heute trainieren… da muss ich sagen, dass wir in der Woche das Doppelte trainiert haben. Wir haben uns als DDR-Fußball nicht an den Ländern orientiert, die im Fußball das Weltniveau bestimmt haben, sondern wir haben uns innerhalb der DDR an den Sportarten orientiert, die Weltniveau waren. Ich glaube, wir haben uns eher an der Leichtathletik orientiert oder am Radsport, als an Ajax Amsterdam.

„Wir haben uns als DDR-Fußball nicht an den Ländern orientiert, die im Fußball das Weltniveau bestimmt haben…“

Wir hatten eine medizinische Abteilung, Sportmedizinische, für den gesamten Leistungssport. Wir hatten aber auch ein wissenschaftliches Zentrum in Leipzig. Da frage ich mich wirklich, was die gemacht haben…

Es wurde oft Doping erwähnt…

Darauf würde ich das gar nicht hinlenken. Sondern will sagen, was haben uns diese Leute, diese Wissenschaftler, vorgegeben? An Trainingsmethodik, an Inhalten, an Umfängen, an Intensitäten zu trainieren? Das war doch der Wahnsinn.

6. Grenzen im Kopf

Jenseits dieser wissenschaftlichen Aspekte, welche Rolle hat die Regierung bzw. die sozialistische Einstellung des Landes im Sport gespielt? Gab es eine Verbindung dazwischen, ein guter Spieler zu sein und ein guter Sozialist zu sein?

Natürlich gab es da Verbindungen, das ist ja unstrittig. Und natürlich waren die meisten Nationalspieler Mitglied der Partei.

Warst du?

Ich war auch. Das streitet ja gar keiner ab, dass wir als – wie nannte man das so schön? Wir waren die Diplomaten im Trainingsanzug – so haben die uns durch die Welt geschickt, so haben wir auch die Welt kennengelernt.

„Da sagst du, es geht uns aber gut“

Wir waren sieben oder acht Jahre lang jedes Jahr im Januar mit der Nationalmannschaft in Südamerika. Jetzt kommst du als wohlbehüteter DDR-Bürger, wo jeder eine Wohnung hatte und warmes Wasser. Du kommst an und siehst die Leute, die auf der Straße liegen, mit einer Zeitung eingepackt. Da sagst du, es geht uns aber gut.

Es ist ja immer ein Vergleich…

Ja, das sind die Vergleiche, die uns da immer umtriebig gemacht haben.

Aber gab es damals Spieler, die sich irgendwie heimlich gegen die Partei positionierten oder apolitisch waren?

Also, ich meine, ja. Offiziell gab es aber keine Gespräche darüber. Da war jeder vorsichtig genug. Du kennst ja die Geschichte mit der Staatssicherheit. Ich denke mal, dass wir uns sicherlich gut kannten, aber es gab irgendwo eine Grenze, die du auch gedanklich nicht überschritten hast. Wo du gesagt hast, also bis hierher und dann Schluss, ja?

7. Fußballerische Ostalgie und die Pleite des Ostens

Glaubst du, dass es heute eine Fußball-Ostalgie gibt? Sowas wie eine Fankultur?

Die gibt es sicherlich noch. Ich bin jetzt hier bei Einheit-Pankow und letztes Jahr hatte diese Verein 125-jähriges Bestehen. Das ist eine stolze Nummer, 125 Jahre. Da habe ich ein Traditionsspiel organisiert, habe Leute nach Berlin geholt, die noch einigermaßen laufen konnten. Da spielen alte Männer Fußball, und hier kommen 600 Leute. Ich will damit sagen, es gibt gerade im Raum Berlin tatsächlich noch eine Art Fankultur.

„Die wissen gar nicht, dass es die DDR mal gab“

Wenn ich ja eine Zeit lang bei den alten Herrn mitspielte, da wurde ich angesprochen von Leuten meines Alters, natürlich nicht von den Jüngeren. Die wissen gar nicht, dass es die DDR mal gab.

Was gibt es heute für Unterschiede zwischen Fußball im Osten und im Westen? Es gibt zum Beispiel nur eine einzige Ost-Mannschaft in der ersten Bundesliga.

Wer ist das denn?

RB Leipzig

Naja, aber… (lacht) gut, also darüber müssen wir nicht diskutieren, weil das keine Ost-Mannschaft im eigentlichen Sinne ist.

Ohne wirtschaftlicher Unterstützung, schaffst du es nicht, weil die guten Fußballer, die suchen sich natürlich aus, wo sie spielen. Für wen sie spielen ist weniger wichtig, aber wo sie spielen – wo es ordentlich Geld gibt. Und da wird keiner auf die Idee kommen, im Osten Fußball zu spielen, außer in Leipzig.

Ich sag dir ein Beispiel: Carl Zeiss Jena. Die Firma ist in Jena gegründet. Du hast ja auch das Jenaer Glaswerk. Sie haben ihre Hauptsitze inzwischen im Westen drüben. Carl Zeiss ist in Oberkochen und Jenaer Glas ist in Mainz.

„Nur mit einem Fleischermeister oder mit der Tankstelle wirst du das nicht hinkriegen“

Wie will du das hinkriegen? Nur mit einem Fleischermeister oder mit der Tankstelle wirst du das nicht hinkriegen. Es geht um den Zusammenhang zwischen erfolgreichen Sport und der entsprechenden finanziellen Unterstützung der einheimischen Wirtschaft. Aber wir haben im Osten keine einheimische Wirtschaft mehr.

Und glaubst du, es bleibt weiter so?

Was soll die Sachen ändern? Zeiss wird nicht zurückkehren nach Jena.

Ich meine, in Leipzig oder Dresden geht es doch ein bisschen besser…

Da geht es ein bisschen besser. Die Dresdener leben im Wesentlichen von ihrer riesengroßen Fangemeinde und die Leipziger, also Red Bull, mit diesem Super-Sponsor da aus Salzburg, das ist natürlich eine ganz andere Kategorie. Wenn du über den Leipziger Fußball sprichst, dann musst du eigentlich über Lok-Leipzig und über Chemie sprechen, aber nicht über Red Bull. Red Bull ist wie so ein Kunstrasen.

Den Begriff „Plastik-Wurzel“ verwendet man zum Beispiel…

Richtig, also erledigt. Der DDR Fußball ist erledigt. Vielleicht gibt es doch den einen oder anderen Verein, der noch in der Nachwuchsausbildung mitwirkten. Ich weiß aber nicht, wann der letzte DDR-Spieler, der hier ausgebildet wurde, in die Bundesliga gerutscht ist. Da fallen mir nicht mehr so viele ein, also ich könnte da nochmal nachdenken und hier vielleicht drei, vier Namen nennen, aber dann ist die Sache erledigt.

8. Die Wende und danach

Wie hast du die Wende erlebt?

Pass auf, ich sage dir was. Ich war fünf Jahre Trainer in Jena, von 84 bis 89 und wurde im Oktober 89 als Trainer entlassen – Oktober 1989.

Danach wurde ich einberufen zur Armee. Mit 39 sollte ich eingezogen werden. Ich musste dann zur Tauglichkeitsuntersuchung, zu einem Militärarzt, nach Gotha. Ich komm dorthin, und da sagt er mir, der Arzt – ich hatte nicht das Gefühl, dass ich krank oder irgendwas bin – sagte er mir, „Ihnen will man aber nichts Gutes, mit 39 jetzt noch Grundwehrdienst“. Ich sage ja, was soll ich machen. Ohne den Arzt vorher gesehen zu haben – und danach sah ich ihn auch nie wieder – hat er mich wehruntauglich geschrieben. Er hatte irgendwas an meinem Rücken entdeckt.

War er vielleicht Fan von dir?

Ich weiß es nicht, ich habe keine Ahnung. Ich weiß jetzt nicht mal mehr seinen Namen.

Ich war jetzt ohne Job. Ich wurde aber vom DDSB weiter bezahlt, und lag zu Hause rum. Ich habe mir diese ganze Geschichte – im Nachhinein muss man schmunzeln darüber – am Fernseher angeschaut. Und dann ging die Mauer auf im November, wir wissen das. Dann hatte ich im Dezember, also vier Wochen später, hat mich Rot-Weiß-Erfurt angesprochen, ob ich nicht im Nachwuchs-Bereich helfen würde, und da hab ich gesagt, ja mache ich. Ich musste irgendwas tun, also zu Hause in dem Alter riskierst du eine Krise, weißt du?

Also das Training ging einfach weiter?

Ja, da bin ich dann nach Erfurt gegangen, und ich war kaum in Erfurt angekommen, bevor mir man angetragen hat, doch die erste Mannschaft zu trainieren, weil die stark abstiegsbedroht waren. Da habe ich natürlich gesagt, „Ja mach ich“. Ein Jahr darauf sind wir in die zweite Bundesliga aufgestiegen. Das war, sportlich gesehen, meine erfolgreichste Zeit.

„…ich war zurückhaltend, ich habe mich nicht auf die Straße gewagt“

So habe ich die Wende erlebt, also wir waren alle, wir lagen alle vor irgendwelchen Fernsehgeräten und haben mit viel Spannung geguckt was da passiert. Ich sage auch, ob man das Feigheit nennen kann – was gibt’s noch für Ausdrücke, optimistische Ausdrücke – sagt man mal, ich war zurückhaltend, ich habe mich nicht auf die Straße gewagt. Ich weiß auch, dass es in Jena zu der Zeit viele Demonstrationen gab, Proteste auf dem zentralen Markt gab. Da war ich nie dabei. Da habe ich mich zu Hause hingesetzt. Ja. War ich Feig, oder? (lacht)

Das würde ich nicht genau sagen…

(lacht weiter) Vielleicht, ich weiß es nicht! Ich kann es auch nicht sagen. Vielleicht war ich der Feigling da. Ich habe auch keinen aus meinem Bekanntenkreis gehört oder gesehen, dass irgendjemand sich an diesen Dingen beteiligt hatte.

Ja, so habe ich die Zeit erlebt. So richtig traurig war ja keiner darüber, wie es dann gelaufen ist. Weil, wir wussten auch alle noch nicht, was uns danach ereilt, also Fußballtrainern der DDR.

„So richtig traurig war ja keiner darüber“

Die Spieler, die richtig guten Spieler, die waren ja sehr schnell irgendwo im Western untergekommen. Ich kann mich daran erinnern, im November 90 war noch ein Länderspiel in Österreich. Da hat schon kaum noch jemand mitgespielt, die Spieler waren sehr begehrt im Westen, aber die Trainer nicht. Die Trainer nicht, warum auch immer. Es gibt natürlich die eine oder andere Vermutung, warum es so gewesen ist. Ja, möglicherweise hat man entweder die Trainer-Ausbildung nicht so recht geglaubt, oder…

Ich tue mich schwer, da die wahren Gründe zu finden. Also, auch ich lebte in der Vorstellung, dass, weil die Abstiegs-Mannschaft Rot-Weiß-Erfurt innerhalb von anderthalb Jahren dritte in der Meisterschaft geworden ist, da würde doch mal jemand anrufen aus dem Westen. Nö. Hat keiner angerufen.

Ich sag mal, viele, viele Kollegen machen das an einem Namen fest: Joachim Streich, Torschützenkönig, Meister-Länderspieler, wie auch immer. Joachim Streich war der erste Ost-Trainer, der ein Angebot aus dem Westen bekam, und zwar für Eintracht Braunschweig. Dort ist er nach einem halben Jahr gescheitert und viele sagen, wäre Hans Mayer zum Beispiel, derjenige gewesen, der als erste dort eine Chance bekommen hätte, dann wäre das ganz anders ausgegangen.

Aber gut. Das sind jetzt alles Spekulationen. Wir hatten alle Hochschulabschluss, und trotzdem wollten sie uns einfach nicht.

9. Was bleibt

Deiner Meinung nach, was ist von DDR geblieben?

Dass ich aufgewachsen bin, in relativer Sicherheit. Ich musste nie hungern und nie dursten. Das war sicherlich ein Verdienst meiner Eltern und der Gesellschaft.

Und das bleibt bei dir?

Das bleibt bei mir haften. Es war jetzt mal kein Land, was ich jetzt im Nachhinein so völlig in die Erde treten würde, es gab auch gute Dinge. Es gab auch gute Dinge.

(Foto: Charlie Perris)